50 Jahre Ikea in Deutschland: Vom Krieg mit dem „Pax“ und dem Hotdog als Abschlussritual (2025)

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50 Jahre Ikea in Deutschland Vom Krieg mit dem „Pax“ und dem Hotdog als Abschlussritual

Düsseldorf · Vor 50 Jahren eröffnete Ikea seine erste Filiale in Deutschland. Vokabeln wie „Billy“, „Ivar“ und „Köttbullar“ gehören inzwischen zum nationalen Sprachschatz. Wie die Schweden zum Bauhaus des kleinen Mannes wurden.

12.10.2024, 12:14 Uhr

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Pax ist Latein und heißt Frieden. „Pax“ heißt auch ein Kleiderschrank von Ikea, ihn aber aufzubauen, bedeutet Krieg. Ein Schlachtfeld aus Schrauben, Scharnieren und Stabilisatoren tut sich auf, turmhohe Vorder-, Hinter- und Seitenelemente sind gegen die Schwerkraft aufzurichten, zum Verständnis der Anleitung taugt selbst das Große Latinum nicht. Steht der Trumm allerdings endlich an seinem Platz, ohne dass irgendein Teil, das ihn zusammenhält, übrig geblieben ist, stellt sich doch ein Gefühl tiefster Genugtuung ein. Alter Schwede, geschafft!

Längst ist dieser Seelenfrieden-Moment als „Ikea-Effekt“ bekannt. Der Ökonom Michael Norton, der an der Harvard Business School das Verhalten von Konsumenten erforscht, hat herausgefunden: Wer seine Möbel selbst zusammenbaut, entwickelt eine größere Wertschätzung für die Einrichtung. Beobachten lässt sich dieser Effekt in Deutschland seit 50 Jahren. Am 17. Oktober 1974 eröffnete „das unmögliche Möbelhaus aus Schweden“, wie es keck auf der ersten Seite des dazugehörigen Katalogs angekündigt wird, seine erste Filiale in Eching bei München. Bald ist sie so beliebt, dass die Leute nur noch von „Elching“ sprechen.

Der Slogan „Wer jung ist, hat mehr Geschmack als Geld“ trifft einen Nerv, und er bleibt derselbe, als der neue Do-it-yourself-Anbieter schon im Folgejahr die zweite Dependance in Köln eröffnet. Freilich bedarf es da bereits nicht mehr der Erläuterung, es gebe dort Möbel, „die man selbst abholen und aufbauen muss“. Heute existieren 54 Standorte in Deutschland, dem mit Abstand wichtigsten Markt für die Schweden. Vor einem halben Jahrhundert kommt das Discounter-Konzept für ansprechende und erschwingliche Möbel zum Selberzusammenbauen einer Revolution gleich. Hatten Generationen zuvor noch einen Hausstand fürs Leben angeschafft, sich womöglich eine „gute Stube“ eingerichtet, bietet Ikea das passende Drumherum für unterschiedliche Lebensabschnitte und sich im Laufe der Zeit verändernde Geschmäcker an. Leichtes skandinavisches Design übertrumpft „Gelsenkirchener Barock“, helle Kiefenregale ersetzen dunkle Vollholz-Buffets, die in ihrer Wuchtigkeit bisweilen selbst wie Immobilien anmuten.

Neu ist auch, dass die Produkte nicht einzeln, sondern meist in voll eingerichteten Räumen abgebildet werden. Das entspricht nicht nur dem Bedürfnis von Kundinnen und Kunden, Dinge im Zusammenhang zu sehen, sondern auch der Absicht des Herstellers, gleich ein ganzes Ensemble an den Mann und die Frau zu bringen. Auch sah alles von Anfang an herrlich aufgeräumt aus. Erst in jüngerer Zeit ist belegt, dass Ordnung ein Schlüssel zur Kreativität sein kann: Eine sinnvolle Struktur eröffnet Freiräume fürs Denken und Handeln. Marie Kondo lässt grüßen.

Eine wachsende Fangemeinde findet in den blau-gelben Möbelhäusern den Inbusschlüssel zum Glück, was für die alteingesessenen Anbieter eine heftige, oft ruinöse Konkurrenz bedeutet. Ikea wird zum Bauhaus des kleinen Mannes, Soziologen sprechen von einer „Demokratisierung des Designs“ – eines für alle, selbst Deutschlands First-Reihenhaus-Bewohner, Bundeskanzler Helmut Schmidt, taucht 1982 unangemeldet nebst Ehefrau Loki in der Filiale Kaltenkirchen auf, um „Billy“-Regale zu erwerben. Gerüchte besagen, der Altkanzler habe sich für die Wiederaufnahme der Produktion des Regalklassikers eingesetzt, als diese zeitweise gestoppt wurde. Aber der Aufschrei des Protests war auch ohne seine prominente Stimme groß genug. Heute wird alle zehn Sekunden irgendwo auf der Welt ein „Billy“-Regal verkauft.

Wer sich indes vom Einheitsdesign absetzen möchte, wird unter dem Stichwort „Ikea-Hack“ im Internet fündig. Dort gibt es haufenweise Anleitungen, wie man die Bausätze individuell „veredeln“ oder ältere Stücke stilvoll „aufmöbeln“ kann. Besitzer etwa von „Impala“-Liegesesseln aus dem Jahr 1972 oder von „Vilbert“-Stühlen aus den 90ern hingegen sollten von Veränderungen tunlichst die Finger lassen. Damals Schnäppchen, sind die Designer-Möbel heute Tausende von Euro wert.

Der Erfolg des Discounters geht auf einen Mann zurück: Ingvar Kamprad (1926–2018), Sohn einer Schwedin und eines in Deutschland geborenen Vaters. Schon mit 17 Jahren gründet er ein kleines Geschäft, das er „Ikea“ nennt – ein Akronym aus seinen eigenen Initialen (IK), ergänzt um den elterlichen Bauernhof Elmtaryd (E) und das schwedische Dorf Agunnaryd (A), in dem er aufwuchs. Kamprad verlegt sich auf den Verkauf von Möbeln, die er anfangs mit dem Milchwagen der Gemeinde ausliefert. 1958 öffnet sein erstes SB-Möbelhaus in Älmhult, das für den kleinen Ort eigentlich viel zu groß war. Weil Kamprad unter einer Lese- und Schreibschwäche leidet, benennt er jedes Produkt nach einem skandinavischen Wort, ein ausgeklügeltes System hilft, dass er sich alles leichter merken kann. Sofas, Sessel oder Couchtische tragen meist schwedische Ortsnamen (wie „Klippan“). Badezimmerartikel sind nach Flüssen und Seen benannt („Blomen“ oder „Isfjorden“), für Leuchten werden Bezeichnungen aus der Musik, Chemie oder Meteorologie verwendet („Hektar“ oder „Melodi“). Stoffe und Gardinen klingen weiblich („Alvine“, „Andrietta“) Stühle, Schreibtische und Regalsysteme männlich („Alex“, „Ingiolf“). Funktionaler wird es bei Küchenartikeln: So bedeutet zum Beispiel Snitta – das Messersortiment – „schneiden“.

Bei inzwischen mehr als 10.000 Artikeln im Sortiment wird wohl auch Kamprad irgendwann den Überblick verloren haben. Eine aus zwei Mitarbeitern bestehende Abteilung ist vollauf damit beschäftigt, immer neue Namen zu erfinden. Fündig wird sie auf Landkarten, in Kalendern, Wörterbüchern, Synonymlexika und sogar Geburtsanzeigen. Die Angestellten müssen keine Zahlenkolonnen bei der Bestellung eingeben, die Produktnamen sind überall auf der Welt dieselben. Patchworkfamilien, die ihren Haushalt zusammenschmeißen, können sich so rasch orientieren, ob es auch einrichtungstechnisch passt.

Allerdings geraten manche Bezeichnungen, die im Schwedischen komplett harmlos sind, in anderen Sprachen in einen eher weniger beabsichtigte Kontext: Wie vielen deutschen Kunden ein Apfelkuchen namens „Äppelkaka“ trotzdem schmackhaft gemacht werden konnte, ist nicht bekannt, die Bezeichnung „Äppeltarta“ wäre womöglich weniger verfänglich gewesen. Auch das nach einem friedlichen schwedischen Dorf benannte Etagenbett „Gutvik“ dürfte Stirnrunzeln ausgelöst haben. Das Bettgestell „Regdal“ machte die Sache nicht besser, und was, bitteschön, sollte man von einem WC-Bürstenhalter halten, der „Viren“ heißt?

Durchschnittlich dreieinhalb Kilometer legen die Kunden mäandernd durch die fensterlose Möbellandschaft bis zur Kasse zurück. Einige Mitarbeiter schaffen täglich bis zu 15 Kilometer. Wer sich auf den Weg macht, auch nur ein Set „Bevera“-Verschlussklemmen zu erwerben, kommt damit garantiert nicht allein wieder heraus. Dafür sorgen schon die überdimensionierten Einkaufstaschen. Ein wahres Kinder-Para-Dies-Und-Das, in dem Essen und Trinken nicht fehlen darf. Laut dem Magazin „Fast Company“ nutzt rund ein Drittel der Besucher bloß das Ikea-Restaurant. Andere wiederum zelebrieren den Verzehr von Hotdogs als Einkaufs-Abschlussritual.

Auch dieser lukrative Geschäftszweig geht auf eine Idee Ingvar Kamprads zurück. Ihm war schon in der Gründungsfiliale in Älmhult aufgefallen, dass die Menschen das Einrichtungshaus um die Mittagszeit verließen, um anderswo etwas zu essen. Kamprad wurde klar, „dass hungrige Kunden weniger kaufen“, wie es auf der Website heißt. Das kulinarische Angebot variiert, je nach regionalen Vorlieben. In Deutschland gibt es demnach in den hauseigenen Restaurants mehr vegetarische Speisen als in jedem anderen Land.

Allein bei der Ansprache zeigt sich Ikea weniger flexibel – in der Werbung werden potenzielle Kunden penetrant geduzt. Das sei „einfach schwedisch“, argumentiert das Unternehmen. In Schweden werde seit den 60er-Jahren geduzt. Weil das hierzulande allerdings nicht jedem gefällt, werden Kunden im Möbelhaus mit „Sie“ angeredet. „Wohnst du noch oder lebst du schon?“, lautet beispielsweise ein bekanntester Werbespruch der Schweden. Schwitzt du noch oder klebst du schon?, hat sich wohl schon der eine oder die andere analog beim Aufbau komplizierter Einrichtungsgebilde gefragt.

Zum Beispiel beim Zusammensetzen eines „Pax“-Schranks.

Hier geht es zur Bilderstrecke: Diese Ikea-Klassiker sind heute wertvoll

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